Skitourentage in St. Antönien 12. -15.02.2021
Von weiblichen und männlichen Attributen und von einer wunderbaren Gipfelgeschichte
Da seht ihr es wieder. Unsere Touren sind nicht einfach Ski anziehen und in der Reihe hinter dem Bergführer hergehen. Sie sind viel mehr. Also brav waren wir schon, niemand hat Walter Fletscher, den Bergführer mit schönstem Ürnerdeutsch, je überholt, tanzte aus der Reihe oder fuhr zu weit links den Hang runter, oh nein, wir folgten unisono seinen Anweisungen. Und kamen so zu höchsten Gipfelerlebnissen.
Und um es vorweg zu nehmen: Es heisst die Vernunft (w) und der Verstand (m)
So. Aber jetzt von Anfang an. Oder grad mitten drin? Ja. Ich beginne mit der Königsdisziplin.
Es ist der zweite Tag. Ein herrliches Zmorgenbuffet vom kleinen feinen Hotel Gemsli im Magen starten wir in Richtung Partnun. Es gibt erschreckend viele Autos, die Parkplätze frühmorgens schon voll. Der Atem steht uns vor den Gesichtern, es ist eiskalt, da ist das flache Einlaufen grad richtig. Wärme gibt es erst beim Seeli, als es den Hang bis zur Schlüsselstelle hochgeht. Skis aufschnallen, die Tritte hoch und Pause. Ein bisschen essen. Ist doch vernünftig. Und schon wird’s philosophisch in unserer Gruppe. Vernünftig, ein typisch weibliches Attribut. Es heisst ja: Die Vernunft … und schon kontert unser Tourenleiter Geri trocken: na ja: Es heisst der Verstand, ist also männlich. So trägt uns Vernunft und Verstand fast auf Flügeln auf den prächtigen Gipfel und unter das riesige Kreuz der Sulzfluh. Ein Rundblick mit ungezählten Bergkuppen und Zacken verwöhnt uns und ohne kalten Wind lädt es uns zum Höckeln und Staunen ein.
Bergführers Spruch: «Denk beim Aufstieg nie an die Abfahrt, es wird eh anders sein» tritt voll ein: Das vermeindliche Deckeli hat sich aufgelöst oder Walter führt uns durch Pulver oder jedenfalls noch gut drehbaren Schnee. Ein feines Vergnügen. (Das Vergnügen, das wär jetzt sächlich!) Es waren gut 1400 Höhenmeter. Wir dürfen beim Bier zurück im Hotel stolz auf uns sein.
Unsere Einlauftour am Freitag ist der Eggberg ein klassisches Gehen und Fahren, um uns anzugewöhnen. Wir steigen solid und im Gleichtakt, Spuren sind gegeben, wir sind nicht die ersten und bis Montag längst nicht die letzten. Wunderbares, klares Wetter doch kalter Wind um die Ohren, auch daran werden wir uns gewöhnen. Wir machen es gut, so jedenfalls hören es wir von Walter: «Ihr habt das tipptopp gemacht». Der Schnee ist gut, die Zöpfli und Schlaufen lassen jubeln. Und einfach, dass es festgehalten ist, falls dies doch ein Auswärtiger liest und es nicht nur unter uns Insidern bleibt: Wir gehen Corona conform: In zwei Gruppen getrennt, vorne Walter mit Christine, Peter, Bruno und mir, dann mit genug Abstand die 2. Gruppe mit Geri als Spurer, dann Maja, Andy und Judith. Keine Vermischungen. Und so bleibt es über die 4 Tage.
Am dritten Tag ist das Rätschenhorn das Ziel. Lange zieht sich das Tal hin, sanft und in flachen Schlaufen, durch wunderbare Schneedünenlandschaften erreichen wir nach 1300 Höhenmeter den Berg. Schon wieder Männer/Frauenthema. «Rätschen. Das ist doch das was Frauen so gern tun» meint Bruno trocken auf dem Gipfel. Wenn du wüsstest, Bruno, wie viele Männer ich kenne, die das wunderbar beherrschen, der Tonfall und die Wortwahl sind leicht anders, doch sonst … Hier oben ist wieder so ein toller Ausblickspunkt, ich kann mich kaum sattsehen. Und immer noch sagenhafter Schnee bis zuunterst. Zieht man zweimal kurz die Skier aus, fährt es bis zum Dorfplatz.
Abends gehören dann alle Abenteuer mit an den Nachtessenstisch, wo wir vom Wirtepaar verwöhnt werden. Nicht nur Geschichten werden aufgetischt, auch die News vom Natel oder neue Tourenvarianten oder Wetterbericht grad online, liegen zwischen Messer und Gabel.
Am liebsten höre ich aber Geschichten live und hier ist eine, die ich auch für mich festhalten möchte, weil sie so schön etwas vom Leben zeigt und den tollen Charakter des Bergführers unterstreicht.
«Das war vor Jahren in der Hörnlihütte. Ich verabschiedete grad meinen Gast nach erfolgreicher Besteigung, als der Hüttenwart mich fragte, ob ich bleiben könnte um einen Japaner zu führen, ich würde ihn eh nicht hoch bringen, beim Kollegen sei er gescheitert und sie hätten umgekehrt. Ich sagte zu, setzte mich zu jenem Japaner und fragte ihn dies und deis. Er war sehr gut trainiert und hatte einige eindrückliche Touren gemacht. «Muss ich sonst noch etwas wissen über dich?» fragte ich ihn zuletzt. «Etwas, das für die Tour morgen wichtig ist?» «Ja,» sagte er, «ich bin am Anfang sehr sehr langsam. Nachher geht es immer besser und im Abstieg bin ich sogar schnell.» «Beschreib mir doch, was «am Anfang» heisst, in Minuten, Stunden gerechnet.» «Oh, das sind eineinhalb bis zwei Stunden». In aller Frühe mussten wir anstehen, wir waren am Schluss eingeteilt infolge der Erfahrungen meines Kollegen mit dem japanischen Gast. So begannen wir den Aufstieg eher langsam. Danach wie vorausgesagt immer kräftiger und schneller, er war ein geschickter Kletterer, wir holten andere ein. Und ich brachte ihn aufs Matterhorn. Ich glaube, der Typ hätte mir nun alles gegeben vor Glück und Dankbarkeit. Auch der Abstieg verlief locker und zügig.»
Das zeigt so schön, dass miteinander reden und zuhören zum Erfolg führen kann.
Fast wehmütig packen wir unsere Sachen und räumen die Zimmer. Es ist der letzte Tag. Und es soll trotzdem nochmals eine feine Tour geben Richtung Rotspitz. Heute ist es deutlich wärmer und wir ziehen schon bald nach dem Taleinlauf (den wir ja nun schon gut kennen) eine bis zwei Schichten aus. Wieder in sanften Schlaufen ziehen wir links vom Joch den Hang hoch bis ins kleine Pässchen, wo wir später Richtung Partnun runterfahren werden. Die Skis lassen wir hier und gehen zu Fuss aus den Riedchopf. Zum Rotspitz reicht uns die Zeit nicht mehr. So winken wir ihm auf der zunächst steilen Abfahrt zu, kleben die Felle nochmals an und steigen weitere 200 m auf um auf dem direkten Weg statt über Partnun nach St. Antönien zu fahren. Etwas auf wärmerem aber immer noch gut drehbarem Schnee, allerdings mit etwas Blindsicht. «Ist das nun überschienig?» «Wie muss der Winkel der Sonne dazu sein? Welche Neigung der Hang? Und ist das nicht das gleiche wie im Zegligerdialekt «abschattig»? Wir merken, auf Touren lernt man immer dazu.
Bei einer herrlichen Bündnergerstensuppe verabschieden wir uns von 4 absolut grandiosen Tourentagen. Zurück bleiben die Bilder und mein Tourenbericht, ganz persönlich gefärbt.
Danke euch für die gute Kameradschaft, für die jeweils lockere, vergnügliche Art und dir Walter speziell für die kompetente und sichere Führung.
Bergführer: Walter Fetscher
Tourenleiter: Gerhard Roth
Teilnehmer: Christine Brogli, Judith Meister, Maja Müller, Susanne Härri, Andreas Vizeli, Bruno Rickenbacher und Peter Dieffenbach
Bericht: Susanne Härri
Fotos: Andreas Vizeli, Peter Dieffenbach, Gerhard Roth